„Reifezeit - zwischen Aufbruch und Albtraum“ - Adolescence - Between Departure and Nightmare
Teilnehmende KünstlerInnen: Nevin Aladag, Marco Castillo, Monika Czosnowska, Clemens Krauss, Simone Lucas , Carlos Martiel, Britta Thie, Tobias Zielony.
Kuratiert von Michael Kröger und Elisabeth Lumme
Ich bleibe so lange jung, jugendlich und lebendig wie möglich! Mein Leben endet nicht, solange ich kreativ bleibe! Zwischen diesem häufig kaum zu realisierenden, hohen Selbstanspruch und deren nicht selten an den Verhältnissen scheiternder Einlösbarkeit können gerade junge Menschen existentiell verzweifeln – oder im Fall von künstlerischen Produktionen diesen Zustand in etwas Zukünftiges, Kritisches, Abweichendes zu verwandeln. Während sich in Deutschland und weiten Teilen Europas hunderttausende Heranwachsende bei Fridays for Future zunehmend politisieren und damit eine für viele Erwachsene überraschende Reife demonstrieren, lassen sich spätestens seit Corona nicht nur bei Jugendlichen Tendenzen extremer Verunsicherung beobachten. Die Bandbreite emotionaler Befindlichkeiten gerade der “jungen Generation” ist durch permanente Selbstbeobachtung auf Snapchat, Instagram oder Youtube – geprägt.
In ebenso spielerischer wie irritierender Weise erschaffen und kommentieren die acht KünstlerInnen und Künstler dieser Ausstellung eigene Innenansichten von Aufbruch, Infragestellung und Anteilname. Dabei testen sie im weitesten Sinne unsere Vorstellungen von Adoleszenz. KünstlerInnen sind es gewohnt, ihr eigenes Leben mit ihren Werken wie eine ewige, nie enden wollende REIFEZEIT zu erforschen und zu erweitern. Die Bandbreite an Werken aus den Bereichen Malerei, Skulptur, Video, Performance und Fotografie vermittelt überraschende und zum Teil widersprüchliche Einblicke in Seelenzustände und Formen von Daseinsbewältigung junger Menschen. Sie handeln von Krisen, Narzissmus, Auseinandersetzung mit Körperlichkeit, Unsicherheit, Rebellion und Fatalismus in einer immer unsicherer werdenden Gegenwart.
Michael Kröger
"Adolescence - Between Departure and Nightmare"
Participating artists: Nevin Aladag, Marco Castillo, Monica Czosnowska, Clemens Krauss, Simone Lucas, Carlos Martiel, Britta Thie, Tobias Zielony.
Curated by Michael Kröger and Elisabeth Lumme
I will stay young, youthful and alive as long as possible! My life does not end as long as I remain creative! Between this often hardly realizable, high self-claim
and their often failing redeemability due to the circumstances, especially young people can despair existentially - or in the case of artistic productions to transform this state into something
future, critical, deviant. While hundreds of thousands of young people in Germany and large parts of Europe are becoming increasingly politicized in Fridays for Future, thus demonstrating a
maturity that is surprising for many adults, since Corona at the latest, tendencies of extreme insecurity can be observed not only among young people. The range of emotional states, especially of
the "young generation", is characterized by constant self-observation on Snapchat, Instagram or YouTube.
In a manner that is as playful as it is irritating, the eight artists in this exhibition create and comment on their own inner views of departure, questioning and participation. In doing so, they
test our ideas of adolescence in the broadest sense. Artists are used to exploring and expanding their own lives through their works like an eternal, never-ending period of maturity. The range of
works from the fields of painting, sculpture, video, performance and photography provides surprising and sometimes contradictory insights into the states of mind and forms of coping with
existence of young people. They deal with crises, narcissism, dealing with physicality, insecurity, rebellion and fatalism in an increasingly uncertain present.
Michael Kroeger
Nevin Aladag* 1972 Van / Türkei, arbeitet im Medium Installation und Performance und lebt in Berlin
In einer rasant geschnitten Folge von jeweils tanzenden Fußpaaren erzeugt „Top View“ ein fast körperlich spürbares Gefühl von Freiheit, Bewegungslust und schnellem Rhythmusgefühl. In den Tanzrhythmen, den jeweils die beiden Füße einer Person vorführen, wird die Unbeschwertheit und Leichtigkeit einer frühen Lebensphase spürbar: einer Zeit, in der allesmöglich erscheint. Ihre Arbeiten handeln von Selbstbestimmung, Rollentausch, Fremdwahrnehmung und Multiperspektivität. (zit. n.: Sabine Maria Schmidt, Kunstforum 262)
Nevin Aladag, „Top View“, video loop, 2012. Coutesy die Künstlerin und Wentrup, Berlin, © VG BILD KUNST BONN 2020
Nevin Aladag* 1972 Van / Turkey, works in the medium of installation and performance and lives in Berlin
In a rapidly cut sequence of dancing pairs of feet, "Top View" creates an almost physically palpable feeling of freedom, the desire to move and a quick sense of rhythm. In the dance rhythms,
which are performed by the two feet of each person, the light-heartedness and lightness of an early phase of life becomes palpable: a time when everything seems possible. Her works deal with
self-determination, role reversal, external perception and multi-perspectivity. (quoted after: Sabine Maria Schmidt, Kunstforum 262)
Nevin Aladag, "Top View", video loop, 2012 Courtesy the artist and Wentrup, Berlin, © VG BILD KUNST BONN 2020
Marco Castillo *1971, lebt und arbeitet als in Havanna und Madrid
Das Video „Generación“ (2019) lenkt den Blick auf die Wunden, die staatliche Repressionsmechanismen seit den 70er Jahren der Generation der kubanischen Millennials zugefügt haben. Die Zusammenkunft junger Menschen der heutigen Intellektuellenszene in der 70er Jahre Architekturspiegelt das Spannungsfeld zwischen den modernistischen Utopien der frühen Revolutionsjahre und dem Verlust an ästhetischen Freiheiten durch Zensur. „In gewisser Weise will ich den Betrachterin die Rolle des Betroffenen versetzen, um ihm den tiefgreifenden Schaden bewusst zu machen, den extremistische und stigmatisierende Meinungen im Menschen anrichten.“ - Marco Castillo, in „Liebesgrüße aus Havanna, Zeitgenössische Kubanische Kunst im internationalen Kontext.
Marco Castillo, „Generación“, 2019, Video, Farbe, Ton, 16:9 HD, 6:45 Minuten, © Courtesy of the artist and KOW, Berlin, Madrid; Videostill: Marco Castillo
Marco Castillo *1971, lebt und arbeitet als in Havanna und Madrid
Das Video „Generación“ (2019) lenkt den Blick auf die Wunden, die staatliche Repressionsmechanismen seit den 70er Jahren der Generation der kubanischen Millennials zugefügt haben. Die
Zusammenkunft junger Menschen der heutigen Intellektuellenszene in der 70er Jahre Architekturspiegelt das Spannungsfeld zwischen den modernistischen Utopien der frühen Revolutionsjahre und dem
Verlust an ästhetischen Freiheiten durch Zensur. „In gewisser Weise will ich den Betrachterin die Rolle des Betroffenen versetzen, um ihm den tiefgreifenden Schaden bewusst zu machen, den
extremistische und stigmatisierende Meinungen im Menschen anrichten.“ - Marco Castillo, in „Liebesgrüße aus Havanna, Zeitgenössische Kubanische Kunst im internationalen Kontext.
Marco Castillo, „Generación“, 2019, Video, Farbe, Ton, 16:9 HD, 6:45 Minuten, © Courtesy of the artist and KOW, Berlin, Madrid; Videostill: Marco Castillo
Monica Czosnowska *1977 Stettin/Polen
Die beiden Portraits stammen aus Monika Czosnowskas Serie „Portrait“ (seit 2005)
Beide, der Junge wie auch das Mädchen, betrachten mit einer fast erwachsen wirkenden Ernsthaftigkeit ihre Umgebung. Genau in dieser Zeit zwischen Kindheit und beginnender „Reifezeit“ erfahren sich junge Menschen erstmals als Wesen, die in der Lage sind, sich selbst als Personen zu erkennen, die ihre Leben und ihre Zukunft noch vor sich haben werden.
Monika Czosnowska, „Kristian“, 2006, „Helena“ 2006, C_ Print 40 x 60 cm, aus der Serie „Portraits“; © die Künstlerin
Monica Czosnowska *1977 Szczecin/Poland
The two portraits are from Monika Czosnowska's series "Portrait" (since 2005)
Both the boy and the girl look at their surroundings with an almost adult looking seriousness. It is precisely in this time between childhood and the beginning of the "maturing period" that young people experience themselves for the first time as beings capable of recognizing themselves as persons who still have their lives and their future ahead of them.
Monika Czosnowska, "Kristian", 2006, "Helena" 2006, C_ Print 40 x 60 cm, from the series "Portraits"; © the artist
Clemens Krauss ,*1979 in Wien, lebt in Berlin und arbeitet in den Medien Malerei, Installation und Video.*1979 in Wien, lebt in Berlin und arbeitet in den Medien Malerei, Installation und Video.
Zu den nachdrücklichsten Erinnerungen an die eigene Adoleszenz gehört die Entdeckung der jeweils eigenen, sich entwickelnden Körperlichkeit, die nicht selten existentielle Unsicherheit, Ängste
und Schamgefühle auslöst. Das „Selbstportrait als Kind“ (2017) entstand mithilfe von „20 Fotos von mir im Alter zwischen 11 und 13 Jahren“ (C.K.) und versucht, Erinnerungen an die Gefühlswelt der
eigenen Kindheit in ein hyperrealistisches Körper-Gebilde zu bannen.
Fotonachweis: Clemens Krauss, „Selbstportrait als Kind“, 2017, Silikon, Ölfarbe, Eigenhaar,© der Künstler; Foto: B. Borchardt
Clemens Krauss ,*1979 in Vienna, lives in Berlin and works in the media painting, installation and video.*1979 in Vienna, lives in Berlin and works in the media painting, installation and video.
One of the most emphatic memories of one's own adolescence is the discovery of one's own developing physicality, which often triggers existential insecurity, fears and feelings of shame. The
"Self-Portrait as a Child" (2017) was created with the help of "20 photographs of me between the ages of 11 and 13" (C.K.) and attempts to capture memories of the emotional world of one's own
childhood in a hyper-realistic body image.
Photo credits: Clemens Krauss, "Self-portrait as a child", 2017, silicone, oil paint, own hair,© the artists; Photo: B. Borchardt
Simone Lucas * 1973 in Neuss, lebt und arbeitet als Malerin in Düsseldorf
Simone Lucas inszeniert hier eine junge Phantasiefigur in der unsicheren Zone zwischen Sein und Schein. Der eigenartige, als Engel und als Teufel lesbare „Rosenteufel“ berührt mit dem linken Fuß einen gemalten kurzen Hinweis „Mich gibt es nicht“ und erinnert so an beginnende Existenzzweifel, die in der Pubertät nicht untypisch sind.
„Tiefe“ kontrastiert eine verloren wirkende Figur auf einem Sprungbrett mit stark flächigen Farbfeldern – ist die Angst vor dem Sprung vielleicht auch ein Bild für die Lust, sich in die unbekannte gemalte Welt von Kunst zu geben?
Fotonachweis: Simone Lucas, „Rosenteufel“, 2017, 180 x 150 cm, Courtesy Simone Lucas/ Galerie Rupert Pfab; Foto: jew. Wendelin Bottländer.
Simone Lucas * 1973 in Neuss, lives and works as a painter in Düsseldorf
Here Simone Lucas stages a young fantasy figure in the uncertain zone between being and appearance. The peculiar "Rose Devil", which can be read as both an angel and a devil, touches a painted
short note "Mich gibt es nicht" (I do not exist) with his left foot and thus reminds us of beginning doubts about existence, which are not untypical in puberty.
"Depth" contrasts a seemingly lost figure on a springboard with strongly planar fields of colour - is the fear of jumping perhaps also an image for the desire to enter the unknown painted world
of art?
Photo credits: Simone Lucas, "Rosenteufel", 2017, 180 x 150 cm, Courtesy Simone Lucas/ Galerie Rupert Pfab; Photo: each by Wendelin Bottländer.
Carlos Martiel*1989 Havanna / Cuba, lebt und arbeitet im Medium Installation und Performance in New York
Das Video „Prodigal Son“ („Der verlorene Sohn“) weckt Assoziationen an extrem körperbezogene Initiationsriten und wirft gleichzeitig Fragen zu autobiografischen sowie politischen Bezügen auf. Kniend heftet der Künstler Orden, die der kubanische Staat seinem Vater als Polizeioffizier verliehen hat, direkt in die Haut seines Oberkörpers. Ob dieser schmerzhafte Akt eine Auflehnung des Künstlers gegen die vom Staat eingeforderte revolutionäre Opferbereitschaft ist oder der Versuch einer Annäherung an die übergroße Vaterfigur, bleibt offen.
Fotonachweis: Carlos Martiel, „Prodigal Son“, 2010, Video, Farbe, Ton, 16:9 HD, 2:27 Minuten, © der Künstler
Carlos Martiel*1989 Havana / Cuba, lives and works in the medium of installation and performance in New York
The video "Prodigal Son" ("The Prodigal Son") evokes associations with extremely bodily rites of passage and at the same time raises questions about autobiographical and political references.
Kneeling, the artist staples medals that the Cuban state awarded to his father as a police officer directly into the skin of his upper body. Whether this painful act is the artist's rebellion
against the revolutionary willingness to make sacrifices demanded by the state or an attempt to approach the oversized father figure remains open.
Photo credits: Carlos Martiel, "Prodigal Son", 2010, video, color, sound, 16:9 HD, 2:27 minutes, © the artist
Britta Thie * 1987 Minden, lebt und arbeitet als Künstlerin, Model und Schauspielerin in Berlin
Das Video „Powerbanks“ (2018), entwirft in einem Konsumtempel für elektronische Geräte ein Szenario, ein „autofiktionales Big Brother“ (Britta Thie), in dem die jugendlichen Protagonisten sich gleichzeitig ihrer hemmungslosen Konsumlust und generationstypischen Coolness hingeben. Entsprechend cool ist auch das raumgreifende Möbelstück, das die Künstlerin als Oase mit digitalen Ressourcen gerade für ein jugendliches Publikum entworfen hat.
Fotonachweis: Britta Thie, „Powerbank QTs“, 2016-2018, 120 x 290 x 125 cm Mixed Media, © VG BILD KUNST BONN 2020
Britta Thie * 1987 Minden, lives and works as artist, model and actress in Berlin
The video "Powerbanks" (2018), creates a scenario in a temple of consumption for electronic devices, an "autofictional Big Brother" (Britta Thie), in which the young protagonists simultaneously
indulge their unrestrained consumerism and generation-typical coolness. The room-sized piece of furniture, which the artist has designed as an oasis with digital resources especially for a young
audience, is correspondingly cool.
Photo credits: Britta Thie, "Powerbank QTs", 2016-2018, 120 x 290 x 125 cm mixed media, © VG BILD KUNST BONN 2020
Tobias Zielony * 1973, lebt als Künstler, Filmemacher und Fotograf in Berlin
Ein Schwerpunkt seiner Arbeit als Fotograf besteht in der Anteil nehmenden, „dokumentarisch“ wirkenden Präsenz jugendlicher Subkultur. Seine fotografischen Arbeiten zeigen Jugendliche in all ihrer Coolness, Härte und Verletzlichkeit, Lebenslust und existenziellen Grenzbewegungen. Seine Bilder verraten Einfühlungsvermögen und Zugewandtheit. In seiner neuen „Golden Series“ (2018) setzt Zielony seine Arbeit über die Untergrundkultur in den postsowjetischen Gesellschaften in der lettischen Hauptstadt Riga fort. Die Protagonisten in Zielonys Bildern nutzen Mode, Piercing, Tätowierungen und Graffiti, um intime und gemeinsame Identitäten neu zu schreiben.
Fotonachweis: Tobias Zielony, 1. TZ/PH 2018_9, Gabriel, 2018, Archival pigment print, 69 x 46 cm, 6 + 2AP, Courtesy Galerie KOW Berlin
Tobias Zielony * 1973, lives as artist, filmmaker and photographer in Berlin
One focus of his work as a photographer is the participatory, "documentary" presence of youthful subculture. His photographic works show young people in all their coolness, hardness and
vulnerability, lust for life and existential borderline movements. His pictures betray empathy and devotion. In his new "Golden Series" (2018) Zielony continues his work on underground culture in
post-Soviet societies in the Latvian capital Riga. The protagonists in Zielony's pictures use fashion, piercing, tattoos and graffiti to rewrite intimate and shared identities.
Photo credits: Tobias Zielony, 1st TZ/PH 2018_9, Gabriel, 2018, Archival pigment print, 69 x 46 cm, 6 + 2AP, Courtesy Galerie KOW Berlin